In Deutschland werden in der Politik und in den Medien gerade hauptsächlich drei Themen diskutiert: Migration, Bürgergeld und natürlich die wirtschaftliche Situation. Als wären das die wichtigsten Themen. Also die Themen, die abgearbeitet werden müssen, damit es in Deutschland „wieder bergauf geht“. Dabei wird jedoch immer nur über die Symptome diskutiert und nicht über die Lösung des übergeordneten Problems.
Migration
Deutschland streitet darüber, wie man die Flüchtlinge, die unterwegs nach Deutschland sind, daran hindern kann, nach hier zu kommen. Und darüber, wie man die Flüchtlinge, die es blöderweise schon nach Deutschland geschafft haben, wieder los wird. Das nennt man dann „Fluchtursachen bekämpfen“ und „Pull-Faktoren abschaffen“. Leider bekämpft man die Fluchtursachen nicht, indem man an den EU-Außengrenzen Zäune und Mauern errichtet oder Flüchtlinge mit ihren Booten wieder aufs Meer hinausschleppt. Auch nicht, indem man an den Grenzen von Deutschland nach „komischen Autos mit komischen Figuren drin“ (Friedrich Merz) sucht. Mir persönlich sind ja komische Figuren in komischen Autos sympathischer, als komische Figuren in komischen Privatjets...
Man bekämpft Fluchtursachen auch nicht, indem man Autokraten und Diktatoren mit Geld und Waffen versorgt, damit sie die Flüchtlinge daran hindern, in ihre Schlauchboote zu klettern. Mit der Unterstützung von Diktatoren mit Geld und Waffen schafft man mittelfristig eher noch mehr Fluchtursachen. Und dass die Menschen nach hier flüchten, um hier Sozialleistungen zu kassieren oder sich „die Zähne machen zu lassen“ (wieder Friedrich Merz), entspricht schlicht nicht der Wahrheit. Kein Mensch klettert in ein völlig überfülltes Boot und begibt sich in Lebensgefahr für ein paar hundert Euro. Die einzigen Pull-Faktoren für diese Menschen sind Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Und die schaffen wir ja gerade Stück für Stück ab. Gleichzeitig wird behauptet, die Migrant*innen würden Deutschland „überfordern“. Ich frage mich, wie überfordert Deutschland wäre, wenn die zahlreichen Migrant*innen nicht die Jobs machen würden, auf die wir keinen Bock haben: die ganzen Lieferdienste, egal ob Waren oder Speisen, die Pfleger*innen und Ärzt*innen, die Müllabfuhr oder die Kioske und Tankstellen, wo sich der Deutsche nachts noch sein Bier oder seine Zigaretten holen geht. Ohne die Migrant*innen würde doch hier alles zusammenbrechen. Wir jammern über Fachkräftemangel, aber die Leute, die zu uns kommen wollen, lassen wir nicht rein. Und die, die hier sind, lassen wir nicht arbeiten. Wir sperren sie in Heime ein und beschweren uns dann darüber, dass sie nicht integriert sind.
Bürgergeld
Deutschland streitet auch darüber, wie man die Bürgergeldempfänger am stärksten ausschließen kann. Wie man ihnen die Teilhabe verwehrt. Und was sie doch für eine enorme Belastung für den Staat und die Gesellschaft allgemein sind. Gerne wird von Seiten der Unionsparteien auch behauptet, das Bürgergeld sei eine der größten sozialen Ungerechtigkeiten. Und dass Bürgergeldempfänger ja alle faul seien. Deshalb, so die Forderung aus den Reihen der Union, gehöre das Bürgergeld abgeschafft. Nicht reformiert, nicht verändert, sondern direkt abgeschafft. Weil Leistung sich ja „lohnen“ müsse.
Das ist schon ein verdammt starkes Stück.
Dazu habe ich mal eine Frage: Wie genau lohnt sich die Arbeit für mich mehr, wenn Bürgergeldempfänger weniger Unterstützung bekommen? Ich habe doch dann noch immer das selbe Gehalt, die Miete ist genau so hoch, die Lebensmittel genau so teuer, der Strom und das Gas ebenfalls. Für mich ändert sich dadurch finanziell gar nichts – Arbeit lohnt sich dadurch nicht mehr und nicht weniger. Dieses Argument ist also absoluter Schwachsinn!
Das einzige, was sich dadurch für die Angestellten ändert, ist der Druck. Man hält schön still, verzichtet möglicherweise auf Arbeitnehmerrechte, macht unbezahlte Überstunden, schleppt sich krank zur Arbeit. Damit man ja nicht negativ auffällt und seinen Job behält. Man könnte ja sonst plötzlich selber ganz unten sein. Und genau dazu braucht der Kapitalismus Armut: als Druckmittel gegen die Mittelschicht.
Wachstum
Deutschland streitet aber auch darüber, wie man die Wirtschaft ankurbeln kann. Wie man wieder „Wachstum“ schaffen kann. Aus allen Parteien kommt die Forderung, dass man die Wirtschaft entlasten müsse. Weniger Regeln, weniger Papierkram, weniger Steuern. Weniger „Grüne Politik“ natürlich auch. Weil die Grünen ja alles Schuld sind. Selbst das, was die Unionsregierungen schon vorher versaut haben, sind die Grünen Schuld. Und natürlich brauchen wir weniger Sozialleistungen, wie z.B. Bürgergeld (s.o.). Also „weniger Staat“, wie es so schön heißt. Weniger Staat heißt aber natürlich nicht, dass man den Dax-Konzernen nicht trotz Gewinn im dreistelligen Milliardenbereich 10,7 Milliarden Euro Subventionen hinterherwirft. Oder den Bauern, damit die weiter Landwirtschaft im industriellen Maßstab betreiben können. Scheiß auf die Böden und das Grundwasser, scheiß auf die Biodiversität, scheiß auf die Qualität der Lebensmittel. Hauptsache, es gibt Wachstum. Weil Wachstum ja angeblich unverzichtbar ist. Nur leider gibt es für diese Behauptung nicht einen einzigen wissenschaftlichen Beweis! Dennoch wird permanent behauptet, Wachstum sei alternativlos. Will man Alternativen diskutieren, wird man gleich persönlich angegangen. Aber natürlich nicht inhaltlich. Es kommen dann verschiedene Aussagen, die natürlich nicht erklären, warum Wachstum angeblich alternativlos sei. Man hört und liest dann nur: „Sozialismus funktioniert nicht!“ oder „Die Grünen wollen die Planwirtschaft in Deutschland einführen!“ Das ist zwar absolut unhaltbarer Bullshit, aber verfängt leider recht gut. Zwar ist das Argument, dass Sozialismus nicht funktioniert, noch lange kein Argument pro Kapitalismus, aber was soll´s? Hauptsache, man lenkt die Diskussion erfolgreich in eine andere Richtung. Und die Person, die sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen möchte, befindet sich in der Defensive. Wobei natürlich nicht über das eigentliche Thema (Wachstumszwang) diskutiert wird, sondern über Sozialismus und Planwirtschaft. So hat man schön abgelenkt und muss nicht zugeben, dass im Moment gerade unsoziales und unökologisches Handeln belohnt wird, da alleine auf das Wachstum geschaut wird. Und wenn ein Unternehmen zwar wächst, aber das Wachstum ein wenig geringer ausfällt, als im Jahr davor, ist es direkt eine Katastrophe. Natürlich investiert so kaum ein Unternehmen ernsthaft in Nachhaltigkeit. Das Wachstum muss ja jedes Jahr höher ausfallen, als im Vorjahr – das ist ja angeblich alternativlos. Stellt man das in Frage, ist man ein Sozialist, der die Planwirtschaft einführen will, ein linksgrüner Spinner oder Ideologe. Dabei – und das kann man gar nicht oft genug sagen, es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass ewiges Wirtschaftswachstum die Voraussetzung für Wohlstand ist! Hingegen existieren zahlreiche Beweise, dass der unregulierte Markt, das Streben nach Wachstum und der ungehemmte Konsum – oder kurz gesagt unsere Lebensweise – unsere Lebensgrundlage zerstört.
Da stellt sich doch die Frage, wer hier die eigentlichen Ideologen sind; diejenigen, die faktenbasiert Probleme ansprechen und nach Lösungen suchen? Oder diejenigen, die eine Wirtschaftsform als alternativlos ansehen, obwohl dafür nicht ein einziger wissenschaftlicher Beweis vorliegt? Und alle Fakten, die dagegen sprechen konsequent ignorieren? Die so weiter machen wollen, wie bisher – koste es, was es wolle?
Was wirklich wichtig ist
Dabei muss die Alternative zu ewigem Wachstum und absolut unregulierten Märkten nicht automatisch im Sozialismus oder in Planwirtschaft enden. Man könnte ja auch darüber diskutieren, wie man den Kapitalismus reformieren kann. Man könnte ethische Grundsätze formulieren, die Mensch und Natur stärker im Blick haben. Man könnte neben dem BIP auch andere Faktoren zur Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Situation in Deutschland heranziehen. Man könnte über die Gemeinwohlökonomie nachdenken. Dabei darf jede*r Akteur*in immer noch selbst entscheiden, wie sein Geschäftsmodell funktioniert oder welcher Beruf ausgeübt wird. Oder womit gehandelt wird, was hergestellt wird, wie die Transportwege sind, wie und wo Geld angelegt wird usw. Nur im Gegensatz zu heute steht nicht ausschließlich Wachstum im Vordergrund, sondern es werden auch andere Faktoren berücksichtigt. So wird zum Beispiel darauf geschaut, wie das Unternehmen seine Angestellten behandelt. Oder wie ökologisch/nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet. Und ob es darauf achtet, dass die Zulieferer die Menschenrechte einhalten. Je nachhaltiger und sozialer ein Unternehmen agiert, desto weniger Steuern muss es zahlen. Auch der Prozentsatz bei Krediten könnte bei nachhaltigen und sozialen Unternehmen geringer ausfallen. So würde soziales und nachhaltiges Handeln belohnt und wäre keine Belastung für die Unternehmen. Vielleicht gibt es noch andere Ideen für eine nachhaltigere Lebens- und Wirtschaftsweise. Aber die können wir nur demokratisch erarbeiten, wenn wir darüber diskutieren. Und nicht die Diskussion schon zu Beginn abwürgen, weil es ja „ideologisch“, „linksgrüne Verbotspolitik“ oder sonst was ist. Der freie Markt und ewiges Wachstum ist nicht alternativlos.
Eine Diskussion jedoch von vorneherein gar nicht zuzulassen ist dagegen zutiefst undemokratisch.
Wir sollten auch nicht Migrant*innen gegen Bürgergeldempfänger*innen gegen Arbeiter*innen ausspielen. Das löst nicht ein einziges Problem und hat nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.
Egal, wie viele Geflüchtete kommen, egal, wie viele Bürgergeldempfänger*innen tatsächlich nur faul rumliegen (ca. 14-16.000): Für fast alle hier ändert sich nichts. Weder wird dadurch bezahlbarer Wohnraum in ausreichendem Maße geschaffen, noch ist die Rente dadurch wieder sicher. Die Krankenkassenbeiträge bleiben dadurch auch nicht stabil. Der Klimawandel wird dadurch auch nicht aufgehalten, kein Konflikt auf der Welt beendet, Atommüll gibt es dann auch noch.
Wir sollten dringend darüber diskutieren, wie wir unsere Lebensgrundlage erhalten. Wenn wir damit nicht mal langsam beginnen, werden zunehmend mehr Geflüchtete kommen. Weil im globalen Süden die Menschen schon heute stark unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden und in Zukunft noch stärker leiden werden. Es wird auch vermehrt zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, weil die Menschen um die knappen Ressourcen, aber auch um fruchtbare Böden und um Wasser kämpfen werden. Was wiederum Menschen zur Flucht zwingen wird.
Aber auch hier werden die sozialen Spannungen weiter zunehmen, je stärker der Klimawandel und die soziale Ungleichheit auch unsere Gesellschaft belastet. Die Konflikte in der Welt, aber auch in der deutschen Gesellschaft sind die Folge unserer Art zu wirtschaften und zu leben. Deshalb sind Diskussionen über Migration, Bürgergeld oder über die Schwierigkeiten in der Wirtschaft alle müßig. Es wird dabei nur über die Symptome eines Problems gesprochen, ohne das Problem selbst anzugehen: unsere Lebensweise.
Und genau darüber müssen wir diskutieren. Stattdessen haben wir scheinbar Angst vor jeder Veränderung. Das Land, welches nach dem 2. Weltkrieg durch Innovation und Glauben an seine Stärken unglaubliches geleistet hat, gerät heute in Panik, weil das neue Auto einen Elektromotor hat...
Und wir sollten uns fragen, warum einige diese Diskussion um jeden Preis verhindern wollen – und dabei in Kauf nehmen, dass sie unsere Demokratie mit ihren Ablenkungsmanövern beschädigen.
Es ist übrigens in meinen Augen sehr beunruhigend, dass ich mich mittlerweile im gleichen Umfang mit dem Rechts-Populismus der Unionsparteien beschäftigen muss, wie mit dem braunen Scheiß der AfD! Liebe Unionsparteien: Es gilt nicht, das Niveau der AfD zu unterbieten! Es gilt, die Demokratie zu schützen! Darauf solltet ihr euch schleunigst wieder besinnen!
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