Es ist schon faszinierend, dass die Debatte, wie man die Reichen und Superreichen an den Staatsausgaben angemessen beteiligen kann, mal wieder nicht stattfindet.
Die Debatte, wie man bei den Ärmsten der Bevölkerung sparen kann und wie man ihr Leben so unbequem wie möglich macht, ist jedoch (mal wieder) in vollem Gange. Befeuert wird diese Diskussion wie üblich wieder vor allem von CDU/CSU und FDP. Aber auch aus der SPD kommen Stimmen, die ach so faulen Bürgergeldempfänger zu sanktionieren. Und natürlich aus der Wirtschaft. Also von Menschen, die sich nicht mal ansatzweise vorstellen können, in Armut zu leben.
Bei der Diskussion über das Bürgergeld wird ständig der Eindruck vermittelt, dass der Großteil der Bürgergeldempfänger*innen lediglich zuhause auf der Couch sitzt und schlicht zu faul sei, arbeiten zu gehen. Markus Söder ist mal wieder einer der Lautesten. Er fordert auf seinem Facebook-Profil, das Bürgergeld direkt ganz abzuschaffen. Was er stattdessen einführen will sagt er nicht – möglicherweise will er es ja ersatzlos streichen. Zuzutrauen wäre es ihm.
Auch bleibt er den Grund schuldig, warum das Bürgergeld komplett abgeschafft werden soll. Geht es ihm darum, die Leute zu bestrafen, die sich dem Arbeitsmarkt bewusst und aktiv verweigern? Warum will er dann auch die bestrafen, die sich vorbildlich verhalten? Die einen berechtigten Anspruch auf Bürgergeld haben? Den haben übrigens eine überwältigende Mehrheit der Bürgergeldempfänger*innen. Bei ungefähr 5,5 Millionen Menschen im Bürgergeldbezug1 gibt es gerade mal 14.0002 (manche Quellen sprechen von 16.000) so genannte Totalverweigerer. Der Anteil derer, die tatsächlich faul rumliegen, ist also geradezu lächerlich gering.
Ich möchte jetzt keineswegs den Eindruck erwecken, dass ich das in Ordnung finde, wenn sich jemand auf Kosten der Allgemeinheit ausruht. Aber ich finde die Diskussion aufgrund der Zahlen definitiv unangemessen.
Warum?
Der Bund hat für 2024 etwa 26,5 Milliarden Euro für das Bürgergeld eingeplant3. Zweifellos ist das eine enorme Summe. Aber bei dem geringen Anteil an Totalverweigerern an der Gesamtzahl der Menschen, die Bürgergeld beziehen, ist das Einsparpotenzial doch äußerst gering – selbst, wenn man die Leistungen für die Totalverweigerer komplett einstellen würde.
Es verstößt übrigens gegen das Grundgesetz, die Leistungen für Bürgergeldempfänger*innen komplett einzustellen. Deshalb fordert Jens Spahn auf seinem Facebook-Profil, dass man aus diesem Grund das Grundgesetz ändern müsse.
Bei der unsäglichen Schuldenbremse berief man sich dagegen stets auf das Grundgesetz und lehnte deshalb Änderungen ab. Interessant...
Warum wird die politische Debatte in Deutschland jetzt also durch das Fehlverhalten von 14.000 bis 16.000 Menschen bestimmt? Ist das gerade wirklich das größte Problem in Deutschland? Werden dadurch, dass man den Totalverweigerern die Leistungen komplett kürzt oder das Bürgergeld sogar komplett abschafft, genug Mittel frei, um neue Schulen, Brücken, und Schienen zu bauen? Werden die Löhne dadurch fairer? Wird die Kluft zwischen Arm und Reich dadurch kleiner? Bleiben dadurch die Rentenbeiträge stabil und die Renten sicher? Können wir dadurch den Klimawandel verlangsamen und die globale Erwärmung zumindest auf 2 Grad begrenzen? Können wir dadurch den ÖPNV ausbauen?
Wird dadurch irgendein Problem auch nur im Ansatz gelöst?
Ganz sicher nicht.
Dennoch wird gerade so getan, als wäre es die entscheidende Frage zum Thema soziale Gerechtigkeit. Weil in Deutschland gilt: Kein Geld ohne Leistung!
Befeuert wird diese Debatte von Leuten, wie Jens Spahn, Friedrich Merz und Christian Lindner.
Also Leuten, die Villen für 5,3 Millionen Euro verkaufen4, einen Privatjet besitzen (auch, wenn dieser recht sparsam im Verbrauch zu sein scheint)5, oder Porsche fahren6.
Und natürlich durch den Springer-Verlag.
Wenn es um Steuervorteile und -schlupflöcher, Private Krankenversicherungen, Ausnahmen von der Erbschaftssteuer, geringe Steuern auf Kapitaleinkünfte oder andere Privilegien der Reichen geht, reden genau diese Herren und ihre Freunde aus der Wirtschaft immer von „Neid“. Oder davon, dass sich Leistung lohnen müsse. Davon, dass die Reichen ja die Leistungsträger der Gesellschaft seien und deshalb Respekt verdient hätten. Von Respekt für diejenigen (Handwerker, Ärzte, Altenpfleger, Feuerwehrleute, Ehrenamtler usw.), die sich wirklich jeden Tag krumm machen, um dieses Land noch halbwegs am Laufen zu halten, hört man aus der Richtung leider wenig. Vielmehr sollen die Arbeitnehmer doch bitte mehr als 40 Stunden in der Woche arbeiten7.
Aber gut, so sei es, hiermit zolle ich
Respekt für die sogenannten Leistungsträger
Respekt, ihr hinterzieht pro Jahr Steuern in Höhe von ungefähr 125 Milliarden Euro8.
Respekt, der Vorstand von VW hat die Zukunft verschlafen, tief und fest gepennt, zu wenig investiert und baut jetzt massiv Stellen ab9. Aber nicht etwa, weil der Konzern Verlust macht, sondern weil der Gewinn zurück geht10. Weshalb natürlich gerechtfertigt ist, dass dennoch Dividenden ausgeschüttet werden11.
Respekt, ihr bekommt immer noch mehr Geld – einfach nur, weil ihr schon sehr viel Geld habt.
Wie war das noch: Kein Geld ohne Leistung? Für mich ist „Geld haben“ erst einmal keine Leistung. Dennoch bekommt ihr mehr Geld ohne Leistung. Und müsst das sogar noch geringer besteuern, als ich mein Gehalt. Weil Einkünfte aus Kapitalerträgen mit nur 25 Prozent versteuert werden müssen. Und Sozialabgaben müsst ihr darauf ebenfalls nicht zahlen.
Respekt, jede Gehaltserhöhung für eure Angestellten muss immer hart erkämpft werden und wird begleitet von massiven Drohkulissen eurerseits.
Respekt, dass ihr euch selbst hingegen immer so großzügig mit einer Erhöhung der Bezüge und mit Boni bedenkt.
Respekt, ihr dürft euch privat versichern und tragt deshalb nicht zum Umlageverfahren der Sozialversicherungen bei. Oder anders gesagt: ihr tragt nichts zum Sozialstaat bei. Gleichzeitig habt ihr durch eure private Krankenversicherung bessere Leistungen als gesetzlich Versicherte, tragt aber weniger zur Finanzierung der Krankenhäuser bei12.
Respekt, ihr habt aufgrund eures zumeist ererbten Vermögens auch im Alter ausgesorgt und braucht euch um Altersarmut nach 45 Berufsjahren keine Sorgen machen. Das hindert euch jedoch nicht daran, von den gesetzlich Versicherten zu verlangen, bis 70 zu arbeiten13. Wenn ich den ganzen Tag auf meinem Hintern sitzen würde und einfach zuschauen könnte, wie sich mein Geld von alleine vermehrt, wäre das sicher machbar. Aber als Tischler ist das doch eher illusorisch.
Respekt, durch euren ungezügelten Lebensstil tragt ihr massiv zum Klimawandel und Ressourcenverbrauch bei14, aber einschränken wollt ihr euch nicht.
Weil euch die Freiheit ja so am Herzen liegt... Damit meint ihr natürlich nicht die Freiheit derjenigen, die schon heute unter dem Klimawandel leiden und ihre Lebensgrundlage verlieren – und damit auch ihre Freiheit. Ihr meint auch nicht die Freiheit künftiger Generationen. Ihr meint damit selbstverständlich nur eure persönliche Freiheit. Die Freiheit, Mensch und Natur rücksichtslos auszubeuten. Die Freiheit auf grenzenlosen Konsum. Und natürlich die Freiheit, (fast) nichts zum Gemeinwohl beitragen zu müssen. Sprich: Ihr meint damit einzig und allein die Freiheit des Kapitalismus.
Die Frage ist nur, ob diese „Leistungen“ wirklich Respekt verdient haben.
Ich denke, die Antwort lautet ganz klar NEIN!
Und weil die Reichen das selbst eigentlich ganz genau so sehen, nehmen sie massiv Einfluss auf die Politik. Sie spenden regelmäßig enorme Summen an die Parteien (allen voran natürlich wieder an die Unionsparteien und die FDP)15, beschäftigen ganze Armeen an Beratern, Anwälten und Lobbyisten. Sie schalten über ihre Stiftungen und Lobbyvereinigungen regelmäßig ganzseitige Anzeigen in diversen Zeitungen. Alles, um ihren Status, ihre Privilegien und vor allem ihre Macht zu erhalten oder gar zu erweitern.
Und sie schaffen es leider immer wieder, die Debatte in eine für sie ungefährliche Richtung zu lenken. Natürlich immer mit freundlicher Unterstützung aus FDP und CDU/CSU.
In die Richtung der Armen, der Bürgergeldempfänger. Auf denen kann man so herrlich rumhacken. Da kann man auch prima kürzen.
Es geht darum, einen Sündenbock zu finden, der sich nicht wehren kann.
Gleichzeitig wird so auch noch der Druck auf die Beschäftigten erhöht – lieber schön mitspielen, alle Ungerechtigkeiten hinnehmen und nicht auf die Arbeitnehmerrechte bestehen. Aus Angst, sonst bald selbst zu den Bürgergeldempfängern zu gehören. Selbst ganz unten zu sein.
So werden die Armen und die arbeitende Bevölkerung gegeneinander ausgespielt und die Gesellschaft weiter gespalten. Währenddessen werden die Reichen immer reicher.
Und falls jetzt irgendjemand wieder denkt, das sei ja nur eine „Neiddebatte“:
Wenn ich neidisch wäre, würde das bedeuten, dass ich das Leben der Reichen führen möchte. Ich möchte aber gar kein Leben mit hirnlosem Konsum führen, der Klima und Umwelt massiv belastet. Ich möchte auch kein skrupelloser Mensch sein, der Profit über alles stellt.
Es ist vielmehr eine Gerechtigkeitsdebatte, die dringend geführt werden muss.
Sonst profitieren nur zwei Gruppen:
Die Reichen, die so immer reicher und mächtiger werden und die Rechten, die die Angst der arbeitenden Bevölkerung und die Unzufriedenheit der Abgehängten für sich zu nutzen wissen.
Fazit
Wir sollten die arbeitende Bevölkerung nicht gegen die Armen ausspielen, sondern stets hinterfragen, wer von solchen Debatten profitiert. Wir sollten außerdem hinterfragen, ob die Diskussion und die mediale Aufmerksamkeit daran angemessen ist, oder vielmehr von den wirklich wichtigen Problemen ablenkt.
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