Der Pippo wundert sich... über das Märchen vom Grünen Wachstum

Es klingt so schön: Ewiges Wachstum, ein stetig steigendes Bruttoinlandsprodukt, immer mehr Gewinn, immer mehr Konsum. Aber natürlich alles klimaneutral, ressourcenschonend, ökologisch, womöglich sogar noch Bio und fairtrade. Also einfach weiter wirtschaften, wie bisher – nur eben grün. Jeder Haushalt hat zwei Elektrofahrzeuge oder, wenn man FDP und den Unionsparteien glaubt, Verbrenner, die mit E-Fuels betankt werden. Natürlich stehen diese Fahrzeuge vor einem Einfamilienhaus im Grünen welches natürlich CO2-neutral geheizt und mit Strom versorgt wird. Und dieser Wandel vollzieht sich natürlich von ganz alleine, ohne dass die Politik durch Regeln und Gesetze eingreifen muss. Der Markt wird das schon regeln und keiner muss sich einschränken, sogar im Gegenteil: am Ende geht es selbstverständlich jedem besser – Wachstum bedeutet ja schließlich Wohlstand für alle.

Doch klingt das realistisch? Kann ein System, welches für die Umweltzerstörung und den Klimawandel, die soziale Ungleichheit und den schleichenden Abbau der Demokratie und Freiheit verantwortlich ist, dies aus sich selbst heraus lösen? Können wir von Jahr zu Jahr immer weiter wachsen, mehr produzieren, mehr konsumieren, mehr Ressourcen verbrauchen, jedes Jahr neue Rekordgewinne einfahren ohne unsere Lebensgrundlage weiter zu zerstören?

 

Oder kurz gefragt: Ist Grünes Wachstum überhaupt möglich?

 

Haltlose Versprechungen

 

Seit Jahren wird dies behauptet. Man brauche nur einen freien Markt und dann werde eben dieser Markt die nötigen Technologien bereit stellen, die alle Probleme lösen könne und werde. Reinhard Loske führt in seinem Buch „Politik der Zukunftsfähigkeit – Konturen einer Nachhaltigkeitswende1“ sehr anschaulich aus, weshalb das ein Trugschluss ist.

In den 90er Jahren erklärten viele Ökonomen und Politikwissenschaftler, dass eine Verschiebung der Wertschöpfung von Landwirtschaft, Bergbau und Industrie hin zu mehr Dienstleistungen zu einem ökologischem Strukturwandel führen würde. Wenn dies zuträfe, wären die USA mit einem Dienstleistungsanteil von etwa 80 Prozent am BIP der nachhaltigste Staat der Erde2. Dass dies nicht der Fall ist, liegt unter anderem daran, dass Dienstleistungen selbst sehr ressourcenintensiv sind. Als Beispiele sind hier der Verkehrssektor, die Kommunikation und der Tourismus zu nennen.

Außerdem wurden die ressourcen- und umweltintensiven Wirtschaftsaktivitäten (Bergbau, Grundstoffindustrie, aber auch die Herstellung von Konsumgütern) ja nur in Schwellen- und Entwicklungsländer verlagert3. Die CO2-Emissionen und der Ressourcenverbrauch sinken somit offiziell bei uns, der Konsum findet jedoch größtenteils weiterhin bei uns statt. So kann man also mit dem Finger auf andere zeigen und sich einreden, Deutschlands Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß oder Ressourcenverbrauch sei ja nur gering und fiele deshalb kaum ins Gewicht. Streng genommen hat aber lediglich eine Verlagerung unserer Emissionen und unseres Ressourcenverbrauchs ins Ausland stattgefunden, weshalb man keineswegs davon sprechen kann, eine „Dienstleistungsgesellschaft“ sei automatisch ökologischer. Zudem sind laut Loske die Industrie und der Dienstleistungssektor (Herstellung, Handel und Transport) eng miteinander verbunden und somit eigentlich Teil der industriellen Wertschöpfung4.

 

Auch dass im Zuge der Digitalisierung die Wirtschaft ökologischer wird, wie seit den neunziger Jahren versprochen, stimmt nicht. Weder gibt es weniger Bürokratie (und dadurch einen geringeren Papierverbrauch), noch weniger Verkehr durch Home Office. Das Internet und die Digitalisierung im allgemeinen ist also nicht nur ein Mittel der Informationsfreiheit, sondern vielmehr eins mit sehr hohem „Nicht-Nachhaltigkeitspotenzial“ durch hohem Ressourcen- und Energieverbrauch5. Außerdem regt es durch seine immer und überall geschaltete und obendrein personalisierte Werbung und die permanent verfügbaren Waren zu immer mehr Konsum an.

 

 

Der Rebound Effekt

 

Es stimmt, in den letzten Jahrzehnten hat es eine relative Entkopplung von Sozialprodukts- und Energieverbrauchsentwicklung gegeben. Seit den neunziger Jahren ist die Industrieproduktion in Deutschland stark gestiegen, während der Primärenergieverbrauch in etwa gleich geblieben ist. Dies wurde möglich durch eine permanente Verbesserung in der Energieeffizienz in der Produktion und durch sparsamere Produkte erreicht. Dies liegt aber im Wesen des Kapitalismus: was Kosten verursacht, wird abgeschafft oder zumindest möglichst effizient genutzt. Dies gilt für Energie und Ressourcen gleichermaßen. Dies führt jedoch nicht automatisch zu ökologischem Handeln – dem gegenüber steht nämlich der so genannte „Rebound Effekt“. Da im kapitalistischem Wirtschaftssystem ja Wachstum unerlässlich ist, werden eben jene Effizienzgewinne durch den Wachstumszwang aufgefressen. Die Verbrennungsmotoren mögen ja effektiver sein, als vor 30 Jahren. Aber dafür haben wir jetzt mehr Autos auf den Straßen, die obendrein noch größer und schwerer geworden sind. Elektrogeräte verbrauchen weniger Strom, aber wir haben mehr von ihnen. Der Heizenergiebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche ist gesunken aber wir leisten uns immer mehr Wohnfläche pro Kopf. Dadurch sinken trotz Effizienzsteigerung in vielen Bereichen die CO2-Emmissionen und der Ressourcenverbrauch nicht6.

Neben dem Wachstumszwang im Kapitalismus spielen auch psychologische Effekte auf der Konsumentenseite eine Rolle: Eine Studie in Japan hat beispielsweise gezeigt, dass Autofahrer, die sich ein nach eigener Wahrnehmung „ökologisches Auto“ gekauft haben, pro Jahr 1,6 Mal mehr Kilometer damit gefahren sind, als mit dem Auto zuvor. Andere Studien zeigen, dass Konsumenten von „ethischen“ Bio- oder Fairtrade-Produkten nun an anderer Stelle unethisch oder einfach mehr konsumieren.

Erstaunlicherweise wurde der Rebound Effekt bereits im Jahr 1865 durch William Stanley Jevons entdeckt und es wird sich in den Wirtschaftswissenschaften seit etwa 1980 damit beschäftigt, aber in den meisten Studien und in der Klimapolitik findet er bis heute kaum Beachtung7.

 

Ausbeutung anderer Länder für unser „Grünes Wachstum“

 

Auch aus anderen Gründen ist weltweites Grünes Wachstum Wunschdenken. Immer größere Mengen an Rohstoffen lassen sich einfach nicht ökologisch abbauen, immer mehr Energie nicht nachhaltig und erneuerbar erzeugen. Für ein einziges großes Windrad werden bis zu 30 Tonnen Kupfer benötigt, in einem E-Auto wird fast dreimal soviel Kupfer verbaut, wie in einem Verbrenner. Laut deutscher Rohstoffagentur wird sich der Kupferbedarf in Deutschland bis zum Jahr 2035 verdoppeln.

 

Die weltweit größten Kupfervorkommen befinden sich in Chile – und zwar in der Atacama-Wüste. Für eine Tonne des begehrten Metalls müssen mehrere hundert Tonnen Fels gesprengt werden. Die meisten Trümmer enthalten kein Erz und landet auf riesigen Abraumhalden. Der kleine Rest mit Kupfererz wird gemahlen und gewaschen. In einer der trockensten Gegenden der Welt werden unzählige Liter Wasser für unseren Kupferbedarf verbraucht. Die Erze werden mit stark ätzender Schwefelsäure herausgelöst. Die gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung sind immens: viele Arbeiter leiden unter Staublunge, Krebs ist in dieser Region auch häufiger, eine Stadt musste bereits umgesiedelt werden. Auch große Lithium-Vorkommen sind in Chile zu finden, die Deutschland für die Batterieproduktion dringend ausbeuten möchte8. Für unser „Grünes Wachstum“ wird nach wie vor, auch 500 Jahre nach der Eroberung durch die Europäer, die Natur und die Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung ausgebeutet und zerstört. Wenn im Jahr 2035 der weltweite Anteil an Elektrofahrzeugen bei zehn Prozent läge, bräuchte man laut einer Studie der Bundesregierung neben verschiedenen Metallen und seltenen Erden etwa viermal so viel Lithium, wie die Weltproduktion hergibt9. Teilweise werden die selben Rohstoffe auch für die Produktion von Windkraftanlagen benötigt, die die Energie für die Elektrofahrzeuge liefern sollen. Diese Mengen kann man ganz sicher nicht ökologisch abbauen und verarbeiten.

 

Wann der CO2-Ausstoß sinkt

 

Lediglich in den Jahren 2009 und 2020 konnte ein Rückgang der CO2-Emmissionen verzeichnet werden. Im Jahr 2009 durch die Gier des Finanzsektors, die eine Weltwirtschaftskrise auslöste, und im Jahr 2020 durch die Corona-Pandemie. In beiden Jahren schrumpfte das weltweite Bruttoinlandsprodukt. Also findet augenscheinlich nur eine Reduzierung des CO2-Ausstoß statt, wenn die Weltwirtschaft schrumpft – oder anders herum – solange das weltweite Bruttoinlandsprodukt wächst, steigt auch der CO2-Ausstoß.

 

Auch, wenn Politik und Wirtschaft mantra-artig das Märchen vom Grünen Wachstum wiederholen, gibt es (laut einer Meta-Studie von Jason Hickel und Giorgos Kallis) nach Auswertung von empirischen Studien keinen Beleg für eine Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wachstum10.

 

Folgen des Wachstumszwangs für den Menschen

 

Das bedeutet also, dass wir weg müssen vom Wachstumszwang, wenn wir unsere Lebensgrundlage und die kommender Generationen nicht völlig zerstören wollen. Das muss nicht zwangsläufig eine Verschlechterung für uns bedeuten: neben den bereits benannten ökologischen Problemen hat der Wachstumszwang auch soziale und ökonomische Folgen.

 

Zugegeben, das Wirtschaftswachstum im Westen (und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch im gesamten globalen Norden) seit dem zweiten Weltkrieg hat zu einer Steigerung des Wohlstands geführt. Unser moderner Lebensstil hat ein Konsumniveau erreicht, das weit über der Erfüllung der Grundbedürfnisse liegt. Umfangreiche Studien in den Industrieländern zeigen jedoch, dass die enormen Zuwächse an Konsum und Wirtschaftswachstum keineswegs eine Steigerung der Lebensqualität bedeuten und nicht notwendigerweise zu gesteigertem Wohlbefinden führen. Zudem wird das Niveau an Glück um so niedriger, je mehr die Menschen materiellen Zielen wie Geld, Ruhm oder Popularität hinterherlaufen.

Eine weitere Folge des Wachstumszwangs ist die damit einhergehende Intensivierung der Arbeit. Die Beschäftigten müssen also in immer kürzerer Zeit mehr schaffen. Das führt zu mehr Stress auf der Arbeit, der Stress führt wiederum zu Gesundheitsproblemen, wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Herzattacken, Depressionen, Burnout und genereller Unzufriedenheit. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Zeitarbeit (wie ich am eigenen Leib erfahren durfte), Werkverträgen, befristeten Verträgen oder einfach schlecht bezahlter Arbeit tragen auch trotz Wirtschaftswachstum nicht zu einem höheren Wohlbefinden bei11. Weil einfach ein Großteil des Wirtschaftswachstums denen zu Gute kommt, die ohnehin schon mehr als genug haben, während in Krisen regelmäßig die als erstes unter den Krisenfolgen leiden, die wenig bis gar kein Vermögen besitzen.

 

Negative Folgen des technischen Fortschritts

 

Neben den bereits beschriebenen negativen Folgen durch den Rebound Effekt gibt es auch weitere negative Folgen durch den (vermeintlichen) technischen Fortschritt. Die Nuklearenergie ist hierfür ein Beispiel, birgt diese doch unkalkulierbare Risiken (siehe Tschernobyl oder Fukushima) und die nach wie vor ungelöste Frage der Atommüllendlagerung. Aber auch der massenhafte Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und von Antibiotika in der Tierhaltung, die stetig wachsende Menge an Abfall, die massenhafte Produktion von Plastik usw. hat massive Auswirkungen auf unser Leben und die Umwelt. Auch die Einfuhr von Tier- und Pflanzenarten in andere Erdteile wirkt sich nahezu immer negativ auf die Umwelt aus. Ähnlich wird es sich wohl auch mit Maßnahmen zum Geo-Engineering oder der CO2-Speicherung unter der Erde verhalten. Da technologischer Fortschritt für Wirtschaftswachstum jedoch unerlässlich ist, werden negative Folgen der neuen Technologien jedoch meist ignoriert. Diese durch den Menschen verursachten Konsequenzen führen außerdem zu Hunger, Armut, steigender Verteilungsungerechtigkeit.

All das bedeutet eine substanzielle Bedrohung der Lebensqualität – trotz oder gerade wegen des stetig steigenden Bruttoinlandsprodukts.

 

Grünes Wachstum ist also nur ein schöner Traum. Politiker und Wirtschaftsbosse, die trotzdem an ihm festhalten, verschließen entweder die Augen vor der Realität oder ignorieren die Fakten für ihren kurzfristigen Profit – die Folgen für Mensch und Natur sind für sie nicht von Belang.

 

Wenn jedoch die Folgen des Wachstumszwangs und des ungezügelten Kapitalismus so gravierend sind, auf der anderen Seite aber noch nicht mal zu einer deutlich messbaren Verbesserung der Lebensverhältnisse führen, wieso halten wir weiter so vehement daran fest? Warum trauen wir uns nicht, andere Kriterien zur Entwicklung der Gesellschaft heranzuziehen?

 

Die Gemeinwohlökonomie

 

Im Artikel 14 des Grundgesetzes steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Laut Bundesverfassungsgericht ist das Gemeinwohl außerdem das Ziel jeden staatlichen Handelns, weshalb Bund, Länder und Kommunen dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Heute sieht das eher nicht so aus, als fände dieser Artikel des Grundgesetzes große Beachtung. Der Raubbau an der Natur, die vielen Menschen in Armut, die marode Infrastruktur, leere Sozialkassen trotz ständig steigendem BIP und die ungleichen Bildungschancen zeichnen ein gänzlich anderes Bild: Eigentum dient aktuell nur dem Wohle einiger Weniger.

Eine denkbare Alternative wäre die Gemeinwohlökonomie als Konzept für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem. Ein System, welches Wohlstand erwirtschaften soll, dabei aber Umwelt und Demokratie schützt. Entwickelt wurde das Konzept durch den Österreicher Christian Felber. Laut Felber widersprechen die Ziele des globalisierten Wirtschaftssystems den Grundwerten einer demokratischen Gesellschaft, da die Firmen sich ausschließlich am finanziellen Gewinn orientieren. Die hohen Folgekosten (Belastungen der Umwelt, Krankheiten durch Stress usw.) tragen aber nicht die Firmen selbst, sondern die Allgemeinheit.

Das Konzept der Gemeinwohlökonomie sieht vor, dass sich die wirtschaftlichen Akteure nicht nur auf die Vermehrung des Geldes konzentrieren, sondern sich am Gemeinwohl orientieren. In diesem Wirtschaftssystem sollen Anreize für ethisches Handeln geschaffen werden (günstige Kredite, geringere Steuern usw.), gleichzeitig wird unethisches, rücksichtsloses und ausschließlich gewinnorientiertes Verhalten bestraft. Um das zu messen, müssen die Akteure eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen. Dadurch soll nicht nur der Gewinn, sondern auch der Nutzen des Unternehmens für die Gesellschaft beurteilt werden. Dabei wird geschaut, ob das Unternehmen seiner ökologischen Verantwortung gerecht wird, außerdem werden Kriterien wie soziale Gerechtigkeit, Mitbestimmung, die Nachhaltigkeit der Produktion, Gewinnverteilung und mehr beurteilt. Umweltschutz und gute Arbeitsbedingungen geben Pluspunkte, Personalabbau oder Umweltbelastungen bringen Punktabzug. Je positiver die Bilanz, desto mehr Vorteile im Wettbewerb hat das Unternehmen.

Die Gemeinwohlökonomie soll dabei gemeinsam von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ständig weiter entwickelt werden12.

 

1Reinhard Loske, Politik der Zukunftsfähigkeit – Konturen einer Nachhaltigkeitswende, Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main, Dezember 2015

2Ebd., S.59

3Ebd., S.59

4Ebd., S.60

5Ebd., S.60f

6Ebd., S.62f

10Siehe Fußnote 9

 

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