Der Pippo wundert sich... warum wir unsere Lebensgrundlage und Freiheit bereitwillig dem Kapitalismus opfern

Warum versuchen wir als Gesellschaft nicht, Lösungen zu finden für die Probleme unserer Zeit? Warum haben wir so große Angst davor, unsere Zukunft aktiv zu gestalten? Warum glauben wir den Versprechungen der Industrie und ihren willfährigen Helfern bei CDU/CSU, FDP, bei SPD, den Linken, der AfD, dem BSW? Und sogar die Grünen behaupten, „grünes Wachstum“ sei möglich, man könne Wachstum und CO2-Ausstoß entkoppeln.

Die Auswüchse des modernen Kapitalismus gefährden nachweislich immer stärker unsere Lebensgrundlage, unsere Freiheit und die Freiheit künftiger Generationen. In diesem Jahr gab es gefühlt keinen einzigen Monat ohne eine Überschwemmung irgendwo in Deutschland. Von den weltweiten Folgen des Kapitalismus will ich gar nicht erst reden.

Trotzdem halten wir krampfhaft am Kapitalismus fest, wollen glauben, dass es in nicht all zu ferner Zukunft eine Technologie geben wird, die uns so weiter machen lässt, wie bisher. Wir wollen glauben, dass sich Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß und vom Ressourcenverbrauch entkoppeln lässt. Wir wollen glauben, der Kapitalismus oder „der Markt“ werde die Probleme lösen, die durch den Kapitalismus erst verursacht wurden und bis zur Erfindung dieser Technologie noch verursacht werden.

Das ist jedoch leider nicht möglich. Vielmehr sollten wir endlich den Mut haben, Alternativen zu denken, zu entwickeln, zu diskutieren und vor allem umzusetzen.

Ein erster Schritt dazu wäre, anzuerkennen, dass Kapitalismus und Demokratie nicht untrennbar miteinander verbunden sind. Freie Marktwirtschaft bedeutet nicht Freiheit – vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Kapitalismus bedeutet Ungleichheit. Sicher, der Kapitalismus hat für einige zu unglaublichem Wohlstand geführt. Aber er hat auch schon immer eine große Ungleichheit geschaffen. Am Anfang standen auf der einen Seite die Großindustriellen und die Bankiers und auf der anderen die Arbeiter, die unter unwürdigen Bedingungen arbeiteten und wohnten. Die Bedingungen der Arbeiter bei uns haben sich zwar mittlerweile verbessert, aber dies ist sicher nicht auf die Menschlichkeit der Fabrikbesitzer zurückzuführen. Vielmehr war es ein harter und oft auch blutiger Kampf der Arbeiter in den Fabriken, die zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen führte, dann zu einer Demokratisierung der Gesellschaft und schlussendlich zu einer Regulierung des Kapitalismus. Leider lassen wir es momentan zu, dass uns diese Freiheit und unsere Rechte wieder genommen werden – durch die neuen Big Player des Kapitalismus, wie Amazon, Facebook, TikTok, Elon Musk mit seiner Plattform X, durch Banken und Hedgefonds und anderen skrupellosen Kapitalisten, denen schneller Profit wichtiger ist, als Menschenrechte und die Zukunft des Planeten. Diese Menschen zocken mit allem. Sie spekulieren mit Grundnahrungsmitteln und verdienen sogar noch mehr, wenn irgendwo eine Hungersnot ausbricht. Sie privatisieren Krankenhäuser, Pflegeheime, die Wasserversorgung, den ÖPNV und mehr. Sie vergiften die Umwelt und unsere Lebensmittel mit Pestiziden und unser Trinkwasser mit Chemikalien1. Sie zocken sogar mit Meinung und verbreiten Fake News über ihre Medien und „sozialen Netzwerke“ und helfen so Populisten und Autokraten, die mühsam und blutig errungene Freiheit wieder abzuschaffen. Der Kapitalismus hat zwar zwischendurch die Gesellschaften in Europa und – wenn auch nicht ganz so erfolgreich – in den USA ein wenig gleicher und freier gemacht, aber einige wenige besitzen mittlerweile wieder fast alles – und damit auch die meiste Macht. Und sie verstehen es, diese Macht für ihre Interessen zu nutzen.

Außerdem hat der Kapitalismus die globale Ungleichheit verschärft, da er auf Kosten der ärmeren Länder in Asien und auf der Südhalbkugel ging. Zwar offiziell von der Kolonialherrschaft befreit, wurden sie nach wie vor von den ehemaligen Kolonialmächten ausgeplündert. Die meisten Rohstoffe und Lebensmittel gehen entweder direkt zu uns oder werden in den armen Regionen der Welt in Produkte verwandelt, die für unseren Markt bestimmt sind. So wird unser CO2-Ausstoß ausgelagert. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Fabriken und auf den Feldern dort sind genau so prekär wie vor 150 Jahren bei uns, Kinderarbeit meist weit verbreitet, die Flüsse und Seen vergiftet, die Luft dreckig, überall ist Plastikmüll. Und all das geschieht für unseren Wohlstand. Wir haben den Reichtum, unsere ehemaligen Kolonien den Müll, den Dreck, die Umweltgifte. Und zu allem Überfluss leiden diese Menschen auch noch am stärksten unter dem von uns verursachten Klimawandel. Aber ohne davon zu profitieren.

Wir sollten endlich erkennen, dass ein vernünftiges Leben auch ohne Wachstumszwang möglich ist. Warum muss es immer mehr sein? Ist Deutschland – sind wir – nicht reich genug? Der Reichtum muss sicher gerechter verteilt werden, aber es muss und vor allem kann sicher nicht immer mehr werden.

Ein Wirtschaftssystem, welches auf ewigem Wachstum basiert, kann dauerhaft nicht tragfähig sein und grünes Wachstum ist reines Wunschdenken. Zumal ein Großteil des „Wachstums“ bei uns darauf basiert, dass einfach unglaublich viel weggeworfen wird. So wurden im Jahr 2021 in der EU 153,5 Millionen Tonnen an Lebensmitteln verschwendet. Gleichzeitig wurden 138 Millionen Lebensmittel von außerhalb der EU importiert. In der EU werden also mehr Lebensmittel weggeworfen, als von außerhalb hereinkommen2. Lebensmittel, die Menschen in den ärmeren Regionen der Welt für uns anbauen, anstatt sie selbst zu essen. Gleichzeitig werden für unseren Markt immer mehr Kleidungsstücke produziert, die teilweise nur dreimal getragen werden, weil sie danach kaputt sind. Diese Kleidungsstücke werden unter anderem in Bangladesch unter furchtbaren Bedingungen für die Arbeiter*innen und die Umwelt genäht. Auch Elektrogeräte werden immer kürzer benutzt – oft, weil sie bereits nach wenigen Jahren kaputt sind. Unser Müll landet dann wieder in Pakistan, Indien, Indonesien und anderen armen Ländern mit geringen Umweltstandards. Der Export von Müll der EU in Länder außerhalb der EU stieg von 2004 bis 2020 um drei Viertel an3. Offiziell soll der Müll dort recycelt werden, kontrolliert wird das jedoch nicht, weshalb das meiste in der Umwelt landet.

Das alles geschieht wegen des ewigen und angeblich für den Wohlstand so wichtigen Wachstumszwangs. Diesem Wachstumszwang wird alles untergeordnet und er wird scheinbar auch nicht in Frage gestellt. Es reicht nicht, wenn man vernünftig und nachhaltig wirtschaftet. Der Gewinn muss auch von Jahr zu Jahr höher ausfallen. Gelingt das nicht, wird direkt Alarm geschlagen. Ich muss jedes Mal wieder den Kopf schütteln, wenn ich die Wirtschaftsartikel lese – selbst bei eher linken Zeitungen, wie der taz: „VW und BMW melden Gewinnrückgänge – Deutsche Autobranche unter Druck“ Wohlgemerkt geht es in dem Artikel um Gewinnrückgänge im ersten Halbjahr diesen Jahres – nicht um Verluste. Bei VW ist der Gewinn im ersten Halbjahr um 2,4 Prozent auf 5,5 Milliarden Euro, bei BMW auf 3,9 Milliarden Euro gesunken4. Sie haben also einfach nur etwas weniger Gewinn gemacht. Was bitte ist in unserer Gesellschaft los, dass das bedrohlich ist?

Eine weiterer Artikel, der mich fassungslos macht, war dieser: „Preisverfall bei Immobilien ebbt ab – Vonovia dämmt Verluste ein“ In dem Artikel geht es um vermeintliche Verluste des Immobilienriesen. Die „Verluste“ kommen daher, dass die Immobilienpreise in den letzten Jahren förmlich explodiert sind und der Wert der Gebäude im Besitz des Konzerns gestiegen ist. Nun sinken die Immobilienpreise gerade und das wird jetzt als Verlust bezeichnet. Jetzt beträgt der Verkehrswert der Immobilien im Bestand von Vonovia gerade mal „nur noch“ 82,5 Milliarden Euro. Der Gewinn im operativen Geschäft lag allerdings im ersten Halbjahr bei 887,2 Millionen Euro – auch, weil die Mieten um 3,8 Prozent gestiegen sind5. Der Verlust ist also lediglich so lange fiktiv, bis Vonovia die Gebäude verkaufen will. Die Mieteinnahmen sind allerdings real und sorgen für einen satten Gewinn. Ich bin gespannt, wann die Autobranche oder Vonovia mit Steuergeldern und weiteren Subventionen unterstützt wird.

Die Probleme der deutschen Autobauer sind hausgemacht, sie haben schlicht den Wechsel hin zur Elektromobilität verschlafen und sich lieber darauf konzentriert, ihre Verbrenner mit Schummelsoftware sauber zu tricksen. Die Gewinne wurden nicht in die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen investiert sondern auf die Vorstandsgehälter geschlagen oder als Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet. Auch hier stand kurzfristiger Profit vor Umweltschutz und sozialer Verantwortung. Bezahlen werden die falschen Entscheidungen am Ende sicher wie immer die Beschäftigten, die Steuerzahler und die Menschen im globalen Süden.

Dabei werden die Gewinne und Dividenden zum Teil sogar noch durch den Steuerzahler bezahlt: Die 40 Dax-Unternehmen haben allein im Jahr 2023 mindestens 10,7 Milliarden Euro an Subventionen erhalten – obwohl sie in den letzten Jahren dreistellige Milliardengewinne erzielt haben6. Aber für Klimaschutz oder die Kindergrundsicherung ist angeblich kein Geld da. Umwelt- und soziale Interessen stehen noch immer viel zu oft hinter den Wirtschaftsinteressen. Die Verantwortlichen des Finanzwesens, aus der Industrie und der Politik plündern die Gesellschaft und den Planeten rücksichtslos aus und kommen straffrei davon, während der berechtigte Protest gegen diese Machenschaften zunehmend kriminalisiert wird.

Ohne die gnadenlose Ausbeutung von Mensch und Natur scheint der Kapitalismus nicht zu funktionieren. Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit ist im Kapitalismus scheinbar nicht möglich.

 

Wir sollten endlich anfangen, zu gestalten. Dazu sollten wir endlich dafür sorgen, dass sich diejenigen, die vom Kapitalismus am meisten profitieren, auch an den gesellschaftlichen Kosten beteiligen. Das heißt, sie zahlen die gleichen Steuern und Sozialabgaben, wie jeder andere auch. Und zwar auf ihr gesamtes Einkommen. Sie zahlen für die Umwelt- und Klimaschäden, die sie durch ihren Lebensstil verursachen. Die Konzerne zahlen die Steuern dort, wo sie Gewinne erwirtschaften. Subventionen werden nur gezahlt, wenn sie ökologisch vertretbar sind. Außerdem dürfen Vorstandsgehälter nur erhöht, Boni nur gezahlt und Dividenden nur ausgeschüttet werden, wenn in den letzten Jahren keine Subventionen oder Staatshilfen geflossen sind und nicht massenhaft Angestellte entlassen wurden. So werden kurzfristige Profite vielleicht etwas weniger attraktiv und nachhaltiges Wirtschaften belohnt. Auch Kapitalerträge werden wie normales Einkommen besteuert. Ausnahmen von der Erbschaftssteuer sollen wirklich Ausnahmen sein und nicht die Regel.

Und damit die Konzerne und Superreichen nicht damit drohen, das Land zu verlassen, wird eine Wegzugs-Steuer fällig, sollte ein Konzern das Land verlassen. Diese beträgt dann ein Drittel des gesamten Vermögens.

 

Die dadurch frei werdenden Mittel werden dann dazu eingesetzt, die Städte so umzubauen, dass sie fit sind für den Klimawandel: Weniger Flächenversiegelung bei mehr Grünflächen, Hochwasserschutz. Dann wird der Personennahverkehr endlich so ausgebaut, dass er zumindest in den Städten eine wirkliche Alternative ist. Und zwar ohne die Preise zu erhöhen. Am besten ist Bus und Bahn fahren in den Städten ganz umsonst. Auf dem Land wird das Carsharing-Angebot massiv ausgebaut. Gleichzeitig wird eine Prämie gezahlt, wenn jemand sein Auto abschafft. Die dadurch freiwerdenden Parkplätze werden ebenfalls begrünt, auf keinen Fall versiegelt. Bei großen Parkplätzen durch die Schaffung von Parks (mit einheimischen Pflanzen, Wildblumen, essbaren Pflanzen) oder Mini-Wäldern in der Stadt, kleinere Flächen werden mit Beerensträuchern, Wildblumen oder anderen nützlichen (vielleicht sogar essbaren) Pflanzen bepflanzt. Gleichzeitig werden Trinkbrunnen, Mülltonnen, öffentliche Toiletten und Sitzbänke aufgestellt, Fahrradwege geschaffen und vieles mehr. Ideen gibt es viele. Wir müssen aber endlich weg vom Mantra des ewigen und angeblich alternativlosen Wachstum. Selbst, wenn irgendwann die gesamte Energieversorgung nachhaltig und erneuerbar ist und in unbegrenztem Umfang zur Verfügung stehen sollte, wir müssen den gesamten Ressourcenverbrauch eingrenzen. Umweltschutz ist nicht alleine CO2-Reduktion.

 

Die Technologien, die wir brauchen, um den Klimawandel noch einigermaßen zu begrenzen und unsere Städte so umzugestalten, dass sie lebenswert sind und mit den Folgen des Klimawandels fertig werden, sind schon lange vorhanden. Wir müssen nur endlich anfangen, sie zu nutzen.

 

Und sollte am Ende noch Geld übrig sein, könnte man vielleicht sogar ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen.

 

 

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