Der Pippo wundert sich... über "westliche Werte" in Deutschland und der EU

Man sollte immer gut überlegen, was man sich wünscht... Ich habe mir zu Beginn des Ukrainekrieges gewünscht, man würde geflüchtete Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Afrika genau so behandeln, wie die aus der Ukraine. Geflüchtete aus der Ukraine durften – anders, als Geflüchtete aus den anderen Krisen- und Kriegsgebieten – ihren Wohnort selbst wählen, direkt eine Beschäftigung suchen und Bürgergeld beantragen. Es gibt also anscheinend Geflüchtete erster und zweiter Klasse. Wobei sich CDU/CSU unter anderem in Person von Alexander Dobrindt und die FDP jetzt für ein Ende der ungleichen Behandlung einsetzt. Leider jedoch etwas anders, als ich es mir gewünscht hätte. Als eine der drei rechtspopulistischen Parteien in Deutschland neben der AfD und dem BSW hetzt die CSU jetzt gegen die nächste Gruppe in Deutschland, die sich nicht wehren kann und unterstellt ukrainischen Geflüchteten, sie kämen wegen des Bürgergeldes nach Deutschland und nennt die Zahlung des Bürgergeldes eine „Arbeitsbremse“, welches zu viele Menschen aus der Ukraine in der Sozialhilfe“ festhalte¹. Und die FDP springt in Person von Bijan Djir-Sarai natürlich ebenfalls bereitwillig auf den Populismus-Zug auf und fordert, „neu ankommende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollten künftig kein Bürgergeld mehr bekommen“². Zwar weisen einige Politiker von SPD und den Grünen zurecht darauf hin, dass die meisten Geflüchteten aus der Ukraine allein erziehende Mütter mit ihren Kindern sind, aber diese Tatsache wird von CDU/CSU und FDP natürlich ignoriert. Das Fischen am rechten Rand und die gedankenlose Übernahme von AfD-Parolen ist wohl mittlerweile zum Standard geworden. Und da Russland über ein riesiges Territorium mit großen Rohstoffreserven und vielen Menschen verfügt, die als Soldaten rekrutiert oder als Arbeitskräfte für die Produktion für neue Waffen eingesetzt werden können, wird der Krieg in der Ukraine vermutlich noch Jahre andauern. Über kurz oder lang werden an der polnisch-ukrainischen Grenze für die ukrainischen Geflüchteten wohl demnächst die gleichen „Regeln“ gelten, wie für alle anderen an den EU-Außengrenzen. Die Grenze wird mit Zäunen aus Stacheldraht gesichert, wie zum Beispiel an der bulgarisch-türkischen Grenze. Diese Grenze ist 259 Kilometer lang und wird seit 2017 komplett durch einen zweireihigen Stacheldrahtzaun gesichert. Zusätzlich sind dort Wärmebildkameras angebracht um die Menschen solange aufzuhalten, bis die Grenzschützer sie daran hindern können, europäischen Boden zu betreten und Asyl zu beantragen. Natürlich gehe es hier um „verhinderte Versuche“ und nicht um „Pushbacks“, so der Chef der bulgarischen Grenzpolizei³.

Berichte über Pushbacks an den EU-Außengrenzen gibt es allerdings bereits von anderne EU-Grenzen: Dabei werden Asylsuchende beim oder auch nach Überqueren der Grenzen zurückgedrängt, zur Umkehr gezwungen und daran gehindert, Asyl zu beantragen. Eine Recherche über mehrere Monate von Spiegel, Lighthouse Reports, dem SRF und Republik aus der Schweiz und der Zeitung Le Monde aus Frankreich deckte auf, dass die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (besser bekannt als Frontex) zwischen März 2020 und September 2021 an mindestens 22 illegalen Pushbacks beteiligt war. Mitarbeiter von Frontex sollen Gewaltexzesse nationaler Beamten toleriert haben und auch selbst gewalttätig gegen Asylsuchende geworden sein⁴.

Auch, wenn der Chef nicht mehr Fabrice Leggeri, sondern Hans Leijtens heißt, Berichte über Pushbacks gibt es nach wie vor: Die griechische Küstenwache soll noch immer massiv Menschenrechte verletzen und systematisch Geflüchtete aufs Meer zurückdrängen. Der BBC hat mehrere Vorfälle zwischen Mai 2020 und Mai 2023 untersucht. Ein Überlebender eines der Vorfälle berichtete, dass er und zwei weitere Migranten kurz nach dem Anlegen auf der Insel Samos von insgesamt fünf maskierten Polizisten auf ein Boot der griechischen Küstenwache gebracht worden seien. Dann sei das Boot mit ihnen zurück auf das Meer gefahren, wo die Polizisten sie ins Wasser geworfen haben sollen. Seine Begleiter seien später tot geborgen worden, er selbst habe sich ans Ufer retten können. Andere berichten davon, wie Migranten erst gefesselt und dann ins Meer geworfen worden seien. Wieder andere berichteten davon, wie sie nach Ankunft an der griechischen Küste aufgegriffen, in ein Schlauchboot gesetzt und aufs Meer zurück gebracht worden seien⁵. Auf der Balkanroute an der ungarisch-serbischen Grenze sind im Winter 2022/23 sind zahlreiche Migranten, darunter viele Kinder und Jugendliche, erfroren⁶.

Und da in Europa anscheinend Menschenrechte noch genau so wenig zählen, wie vor 500 Jahren, dürfen europäische Politiker auch das Asylrecht generell in Frage stellen, wie es der finnische Präsident Alexander Stubb im Frühling dieses Jahres tat. Zudem erließ die finnische Regierung unter Beteiligung der ultrarechten „Wahren Finnen“ ein Gesetz, welches die pauschale Abschiebung in der Nähe der Grenze ohne die Prüfung von Asylanträgen erlaubt. Damit werden faktisch Pushbacks gesetzlich legitimiert.⁷ Weil es anscheinend nicht mehr ausreicht, Flüchtlingsabkommen mit politisch instabilen und/oder autokratisch regierten Ländern, wie Türkei, Libanon, Ägypten, Tunesien oder Mauretanien abzuschließen⁸. Außerdem werden in der EU Asylverfahren in Drittstaaten anvisiert. Solche Abkommen sind zwar vermutlich weder mit Menschenrechten vereinbar noch würde es die Zahl der Geflüchteten innerhalb der EU spürbar senken. Dafür jedoch sind solche Abkommen mit Drittstaaten in erster Linie teuer, wie man am Abkommen zwischen Großbritannien und Ruanda feststellen kann: Großbritannien hat 370 Millionen Pfund als Entwicklungshilfe versprochen, dazu weitere 120 Millionen Pfund nach den ersten dreihundert umgesiedelten Menschen. Zusätzlich überweist Großbritannien pro umgesiedelter Person bis zu 171.000 Pfund für die Versorgung für die ersten fünf Jahre. Bis April 2024 sollen bereits 290 Millionen Pfund geflossen sein, ohne dass bisher ein einziger Flüchtling nach Ruanda geflogen wurde⁹. Es ist wohl sicher nicht davon auszugehen, dass diese vielen Millionen vor allem den Geflüchteten zugute kommen werden.

Und anstatt mal bei den wirklichen Fluchtursachen anzusetzen, schaut man lieber weg, wenn die Hamburger Neumann Kaffee Gruppe 4000 Kleinbauern in Uganda für eine 2500 Hektar große Kaffeefarm vertreiben lässt¹⁰ und schafft so sogar noch zusätzliche Fluchtursachen.

Bei so einer menschenverachtenden Politik in Deutschland bzw. innerhalb der EU muss man sich wohl nicht wundern, dass rechtes Gedankengut mittlerweile wieder salonfähig ist.