DER PIPPO wundert sich... über die Schuldenbremse und die Haushaltsverhandlungen der Bundesregierung

Die Bundesregierung verhandelt aktuell über den Haushalt für 2025 und möchte Anfang Juli ein Ergebnis präsentieren. Laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit sei man bei den Gesprächen im Zeitplan. Was auch immer das bedeuten soll... Der Finanzminister möchte die Ausgaben des Bundes um 40 Milliarden kürzen um die Schuldenbremse einzuhalten. Eine Reform der Schuldenbremse, wie von SPD und Grünen gefordert, um nötige Investitionen anzustoßen und Wirtschaft und Bürger zu entlasten, lehnt Christian Lindner ab. Laut dem Bundesfinanzminister könne man „nicht Gebote der Verfassung aus- und einschalten wie einen Lichtschalter.“1

In den 75 Jahren, in denen das Grundgesetz besteht, gab es jedoch bisher 67 Änderungsgesetze. Dabei wurden 122 Grundgesetzartikel geändert bei 237 Einzeländerungen. Von den 122 geänderten Artikeln wurden 59 mehrfach geändert. 2

Die Schuldenbremse im Grundgesetz in Kraft ab 1. August 2009, also erst seit 15 Jahren. Sie ist also ganz offensichtlich ebenfalls eine Änderung des Grundgesetzes.

Wenn es also wichtige Gründe gibt, kann man durchaus das Grundgesetz (mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag) bzw. einzelne „Gebote“ ändern. Und für eine Reform der Schuldenbremse oder gar für ihre Abschaffung gibt es meiner Meinung nach und nach Auffassung mehrerer Personen aus Wissenschaft, Politik, Gewerkschaften sowie aus der Wirtschaft mehrere Gründe:

 

  1. Die Fixierung auf die Staatsschulden im Zusammenhang mit der viel zitierten „Generationengerechtigkeit“ greift zu kurz, da dringend nötige Investitionen in Infrastruktur (Straßen, Schienen, Krankenhäuser, Schulen usw.) ausbleiben. Laut Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut der Wirtschaft, lebt „der deutsche Staat seit fast 20 Jahren von seiner Substanz“ und „alleine die Kommunen haben eine aufgelaufene Investitionslücke von 138 Milliarden Euro“3 Dadurch werden wichtige Infrastrukturmaßnahmen auf folgende Generationen abgewälzt. Diese fehlenden Investitionen in die Infrastruktur sind außerdem absolut schädlich für die deutsche Wirtschaft. Investitionen in erneuerbare Energien, KI oder andere neue Technologien schaffen und erhalten Arbeitsplätze nicht nur für heutige Arbeiter sondern gerade auch für künftige Generationen. Investitionen in Klima- und Umweltschutz erhalten deren Lebensgrundlage und Investitionen in die Infrastruktur erhalten und erneuern vorhandene Strukturen.

  2. in Zeiten eines (drohenden) Wirtschaftsabschwungs kann der Staat mit einem Investitionsprogramm die Wirtschaft stützen und den Anstieg Arbeitslosigkeit zumindest etwas begrenzen. Somit erfüllen sinnvolle Investitionen gleich drei wichtige Aufgaben: sie sichern die Zukunftsfähigkeit des Landes, sie erhalten die Lebensgrundlage künftiger Generationen und sind zudem ein Konjunkturprogramm in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs.

  3. Die Theorie, dass eine niedrige Inflation dem Arbeitsmarkt nützt, stimmt nicht: 1973 und 1974 lag die Arbeitslosigkeit bei ein bis zwei Prozent und die Inflation bei sieben Prozent. 1986 und 1987 lag die Inflation bei null Prozent, die Arbeitslosigkeit kletterte jedoch auf acht Prozent.4

     

Dass SPD, Die Linke, die Grünen und die Gewerkschaften für eine Reform der Schuldenbremse sind, ist wohl wenig verwunderlich. Aber dass sogar der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) um seinen Präsidenten Siegfried Russwurm ein Sondervermögen von 400 Milliarden Euro für Investitionen in Straße und Schiene, in Bildung, in Wohnungsbau und den Klimaschutz fordert5, sollte den Herren in FDP und CDU/CSU zu denken geben.

Stattdessen treibt Christian Lindner lieber die Spaltung der Gesellschaft weiter voran, indem er bei den Sozialleistungen, natürlich speziell beim Bürgergeld, kürzen will, um für 2024 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Man dürfe, so Lindner, nicht auf Dauer dort (beim Bürgergeld, Anm.) verharren und dabei noch Schwarzarbeit machen6. Na klar, Herr Lindner, die eine Hälfte der Bürgergeldempfänger ist lediglich zu faul, die andere Hälfte arbeitet schwarz. Es kann ja nicht jeder so ehrlich sein und sich nicht so vorbildlich an den Staatsausgaben beteiligen, wie seine Kernwählerschaft: die Reichen und Superreichen. Sprich: die oberen fünf Prozent der Gesellschaft. Und das sind wohl auch genau die fünf Prozent der Deutschen, die noch FDP wählen. Dass deren legalen und illegalen Steuervermeidungstricks dem Staat viel mehr schaden, als die ach so faulen oder ach so schwarz arbeitenden Bürgergeldempfänger, spielt für Herrn Lindner und seine Parteigenossen anscheinend keine Rolle. Genau so wenig natürlich, dass eine Vermögenssteuer nach Schweizer Vorbild dem deutschen Staat etwa 80 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich einbringen könnte7. Und dass die Schweizer Millionäre die Schweiz fluchtartig verlassen haben, kann man sicher auch nicht behaupten.

Warum SPD und Grüne diese Klientelpolitik der Minderheitspartei FDP mittragen und sich ständig erpressen lassen, ist mir schleierhaft. Hier wiederholt die Bundesregierung mal wieder den alten Fehler der Politik: Sie vergisst, die Bevölkerung mitzunehmen, kennt ihre Sorgen und Nöte nicht oder ignoriert sie. Eine Entlastung der Beschäftigten, Rentner, und Bürgergeldempfänger käme der Wirtschaft direkt zu Gute, da diese Menschen Mehreinnahmen in der Regel direkt wieder ausgeben (müssen). Steuererleichterungen für Unternehmen führen jedoch in der Regel zu höheren Managergehältern und höheren Dividenden und nützen somit größtenteils Menschen mit hohen Einkommen und werden nicht direkt wieder ausgegeben. Die breite Masse der Bevölkerung spürt davon also nichts, der Einfluss auf die Wirtschaft ist gering.

Die Bundesregierung hat mit dem Haushalt für das nächste Jahr die Chance, die Wirtschaft endlich fit zu machen für das 21. Jahrhundert. Dazu sollte sie klimaschädliche Subventionen abschaffen und stattdessen die dringend benötigten Investitionen in die Infrastruktur, und den Umweltschutz und die Energiewende vorantreiben und vor allem die Bevölkerung mitnehmen. Dazu müsste sie jedoch endlich begreifen, warum fast 40 Prozent der wählenden Bevölkerung das Vertrauen in die etablierten Parteien (CDU/CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke) verloren hat: Weil die Politik außer bei der Reform von Hartz IV/Bürgergeld die breite Bevölkerung vergisst und über Gebühr belastet. Und diese Reform soll nach dem Willen von FDP und CDU bereits wieder einkassiert werden. So muss sich die Politik nicht wundern, wenn etwa 30 Prozent der Wahlberechtigten auf ihr Wahlrecht verzichten und von denen, die noch wählen gehen, fünfzehn Prozent die Nazis der AfD wählen. Und ja: 15 Prozent der Wähler haben Nazis gewählt! Das darf und muss genau in dieser Deutlichkeit gesagt werden, damit es später nicht wieder heißt:“Das haben wir doch alles nicht gewusst!“

 

 

 

 

 

1(https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/schuldenbremse-108.html)

2(Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Infobrief WD 3 – 3010 – 032/24, 75 Jahre Grundgesetz – Änderungen des Grundgesetzes seit 1949 von Marie-Luisa Leonhardt und Julie Hano)

5(https://www.wiwo.de/politik/deuschland/standort-deutschland-bdi-fordert-milliarden-sondervermoegen-finanzminister-lehnt-vorschlag-ab/29844984.html)

6(https://www.merkur.de/politik/lindners-plaene-schuldenbremse-buergergeld-reform-soli-aus-zr.93122853.html)

 

7(https://www.hessenschau.de/politik/hessischer-taxmenow-aktivist-dank-hoeherer-steuern-fuer-ueberreiche-haette-der-staat-doppelt-so-viel-geld-fuer-schulen-v1,steuern-reiche-100.html)

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Kommentare: 1
  • #1

    Philipp (Freitag, 21 Juni 2024 14:03)

    Gut gemacht. Daumen hoch.